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Vitali Klitschko: I keep fighting (Die Welt)

19.07.2021

Being able to hand out and take in – that shaped his life, in the boxing ring as well as in Ukrainian politics. Vitali Klitschko is now 50. A conversation with the ex-world champion about blows below the belt, Vladimir Putin and his love for German proverbs (in German)

Von Gunnar Meinhardt

Die Terminhatz bringt ihn nicht nur in Zeitnot, sondern auch ins Schwitzen. „Entschuldigen Sie die Verspätung“, bittet Vitali Klitschko um Verständnis, als er drei Minuten nach dem vereinbarten Zeitpunkt vor dem Computerschirm in seinem Büro für unser SkypeInterview erscheint. Der Hüne bittet um Nachsicht, weil er sich noch schnell etwas frisch machen möchte. Obwohl es erst sieben Uhr morgens in Kiew ist, hat der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt schon mit der Arbeit begonnen – getreu seinem Motto: Der frühe Vogel fängt den Wurm. Bevor er es sich für unser Gespräch vor seinem Schreibtisch bequem macht, hängt er noch sein Jackett hinter sich über die Sessellehne. Unter dem taillierten weißen Oberhemd spannen sich kräftige Muskeln. „Ich bin gut in Schuss“, sagt Klitschko. Wenn man seine durchtrainierte Figur sieht, könnte man tatsächlich meinen, dass der einstige Boxweltmeister noch immer seine Fäuste fliegen lässt.

WELT AM SONNTAG: Herr Klitschko, hätten Sie keine Lust, so fit, wie Sie aussehen, den seit 1994 bestehenden Altersweltrekord von George Foreman als Weltmeister im Schwergewicht zu brechen? Der Amerikaner hatte sich 1994 mit 45 Jahren, zehn Monaten und 25 Tagen nochmals den Titel erboxt.

Vitali Klitschko: Wissen Sie, wie sehr mich das reizen würde? Na klar wäre das eine fantastische Herausforderung. Ich darf gar nicht darüber nachdenken… (grübelt kurz) Aber nein, dafür habe ich nun wirklich keine Zeit mehr. Ich habe jetzt zu viele andere Kämpfe zu bestreiten, viel mehr als in meiner Sportkarriere, das reicht wirklich.

Was heißt das konkret?

Ich muss leider sagen, dass das Arbeiten in der Politik eine One-Way-Karriere ist. Ein Zurückziehen gibt es da nicht, es sei denn, man hört als Politiker auf. Doch ich werde niemals aufgeben, ich kämpfe im- mer weiter. Ich bin geboren, um zu kämpfen. Ein Weltmeister im Boxen hat es viel leichter als ein Politiker. Im Boxen hat man einen Gegner, und es wird nach ei- nem klaren Regelwerk gekämpft. In der Politik musst du dich vielen Rivalen widersetzen, die versuchen, Festlegungen und Normen zu brechen, die versuchen, zu intrigieren, zu manipulieren. Sie schlagen unter die Gürtellinie, in den Rücken, in die Nieren, kämpfen mit allen unfairen Mitteln. 

Sehnen Sie sich manchmal nach dem Boxsport zurück?

Ja, sehr. Ich vermisse diese Zeit. Ich vermisse vor allem meinen Ersatzvater Fritz Sdunek.

Ihren Trainer, der Sie vom ersten bis zum letzten Profikampf betreut hat und zwei Jahre nach Ihrem Karriereende verstorben ist.

Ich vermisse die Zeit, die ich mit Fritz in Trainingscamps verbracht habe. Er war ein herzensguter Mensch und Coach. Von seinem Schlage gibt es nur wenige auf der Welt. Dass ich unter ihm trainieren durfte, war mein größtes Glück. Ich habe nur gute Gedanken und Erinnerungen an damals, aber das ist Vergangenheit. Ich schaue nur noch nach vorne, der Kampf außerhalb des Boxrings ist brutal, glauben Sie mir. Mich irritiert, wie dabei gelogen wird, wie versucht wird, die Menschen mit bewussten Desinformationen zu irritieren. Ich möchte als Beispiel dafür gelten, dass Politik auch anders sein kann als schmutzig und provokativ. Ich habe meine Prinzipien, und deshalb muss ich die Welt in meine Werte ändern.

Da haben Sie sich aber viel vorgenommen. Unlängst gab es in Ihrem Wohnhaus eine von der Regierung unter Präsident Wolodymyr Selenskyj veranlasste Razzia durch bewaffnete Mitarbeiter des Geheimdienstes SBU. Sie selbst waren bei der Durchsuchung nicht vor Ort. Was hat das mit Ihnen gemacht?

Das hat mich schon sehr irritiert. Ich weiß, dass ich in der Regierung nicht nur Freunde habe und dort oft über mich geredet wird. Mich zu verunglimpfen, der Korruption zu verdächtigen, gegen mich anzukämpfen ist nicht klug. Diese politischen Angriffe sind schlichtweg eine Dummheit. Ich bin selbstbewusst, weil ich fest davon überzeugt bin, dass alles, was ich mache, richtig ist. Ich kenne ein gutes deutsches Sprichwort – ich liebe Sprichwörter –, was ich meinen Gegnern immer sage: Lügen haben kurze Beine. Wenn die Regierung erzählt, wir kämpfen gegen Korruption, und sie mit diesem Slogan versucht, meinen Ruf zu ruinieren, kann ich nur antworten: Diejenigen haben keine Perspektive. Wir feiern in diesem Jahr die 30-jährige Unabhängigkeit von der Sowjetunion.

Die Proklamation war am 24. August 1991.

Seitdem hören wir von der Regierung sehr viele Versprechen wie: Wir bauen ein europäisches Land, wir machen Reformen. Und was ist? In dieser Zeit haben unsere Nachbarn in Polen ihre Einkommen zigmal multipliziert. Heute sind ehemalige Staaten des sowjetischen Blocks wie Polen, die Slowakei, Rumänien, Bulgarien, Ungarn, die Tschechische Republik oder die drei baltischen Republiken schon Teil der europäischen Familie. Doch wir in der Ukraine sprechen über unser Potenzial, über eine bessere Zukunft, doch es geschieht nichts. Das ist ein Grund, warum ich in die Politik gegangen bin, denn ein anderes Sprichwort sagt: Wenn du willst, dass etwas funktioniert, dann mach es selbst.

Und was haben Sie gemacht?

Weniger geredet, als vielmehr Taten sprechen lassen. Als ich 2014 Bürgermeister wurde, war Kiew bankrott. Wir hatten ein Budget von 18 Milliarden Hrywnja (550 Millionen Euro), die Schulden lagen bei 24 Milliarden Hrywnja (733 Millionen Euro). Heute sind wir schuldenfrei und haben ein Budget von 60 Milliarden Hrywnja (1,8 Milliarden Euro).

Was entstand unter Ihrer Ägide?

Mehr als 30 Kindergärten habe ich bauen lassen, neun Schulen, Hunderte Parks, Brücken, Tausende Kilometer von Straßen für eine bessere Infrastruktur sind entstanden. Alles besitzt europäischen Standard. Im Vorjahr bin ich mit mehr als 50 Prozent der Stimmen zum dritten Mal als Bürgermeister gewählt worden, das zeigt mir, die meisten Bürger schätzen, was ich tue. Das gibt mir viel Kraft, ich bin sehr dankbar für das Vertrauen. Ich möchte Kiew zu einer europäischen Stadt in einem europäischen Land Ukraine machen. Als Boxer weiß ich besser als jeder andere: Ohne Kampf gibt es keinen Sieg. Durch die Pandemie – ich hatte mich auch mit Corona infiziert, aber es ist alles wieder gut – wurden die wirtschaftlichen Probleme noch größer, viele Geschäfte mussten schließen, sehr viele Menschen sind noch ärmer geworden. Es ist hart.

Werden Sie des Kämpfens nie müde?

Im Fahrstuhl des Apartmenthauses, in dem ich in der siebten Etage wohne, gibt es einen Spiegel. Ziemlich oft komme ich spät abends nach Hause, schaue dann in diesen Spiegel und stelle mir die Frage: Bist du sicher, brauchst du so etwas? Und dann denke ich so bei mir: Du könntest ein viel entspannteres Leben führen. Dann kommt schon mal der Gedanke: Also, ich höre auf. Am nächsten Morgen jedoch, wenn ich ein bisschen erholt zur Arbeit fahre, schaue ich wieder in den Spiegel und sage mir: Nein, meine Gegner bekommen von mir keine Geschenke. Auch wenn ich mir manchmal so vorkomme, als liefe ich einen Marathon mit gefesselten Beinen, ich werde weiterkämpfen und sie besiegen. Ich habe noch viel vor. Dabei muss ich häufig an das Credo von Fritz Sdunek denken, der mir verinnerlicht hat: Mit negativen Gedanken lässt sich nichts Gutes bewirken, also denke positiv.

Woraus schöpfen Sie noch Energie?

Wenn ich sehr kaputt bin, gehe ich zu meiner Mutter, um mit ihr zu reden. Dann erzähle ich ihr, wer nicht gut arbeitet, was schiefgelaufen ist, dass immer ich alle motivieren muss, damit sie ihren Job gut erledigen. Dabei hat sie mir mal etwas Interessantes gesagt, und zwar, dass ich mich nicht mit anderen Menschen vergleichen könne. Denn mein Bruder und ich hätten von unseren Eltern eine robustere Gesundheit geschenkt bekommen und wären deshalb zigmal stärker als andere. Ich danke ihnen für die Energie, die sie mir genetisch in die Wiege gelegt haben.

Reicht Ihre Power nicht auch aus, um auf Russlands Präsident Wladimir Putin zuzugehen, der wie Sie begeisterter Sportler ist, um den seit Februar 2014 mit der Annexion der Krim bestehenden Militärkonflikt in der Ostukraine endlich friedlich zu beenden?

Überschätzen Sie nicht meinen Einfluss. Präsidenten reden auf Präsidentenebene. Was in meiner Macht steht, was ich mit meiner Autorität und Reputation bewirken kann, das tue ich auch. Meine beste Antwort auf das, was die Russische Föderation, was Putin gegen die Ukraine unternimmt, sind unsere wirtschaftlichen und politischen Erfolge, unsere Erfolge bei der Verbesserung unseres Lebensstandards. Und daran arbeite ich fleißig.

Als Präsident der Ukraine könnten Sie noch wesentlich mehr im Land bewegen. In drei Jahren stehen Neuwahlen an, werden Sie sich stellen?

Mich in einer bestimmten Position zu präsentieren war noch nie mein Ziel. Es macht auch keinen Sinn, schon jetzt darüber zu spekulieren, was 2024 sein wird. Wenn ich einen europäischen Lebensstandard in meiner Stadt etablieren kann, kann ich das in jeder anderen Stadt, in jeder Region, in jedem Dorf auch schaffen. Bis dahin ist es aber noch ein langer Weg.

Auf dem Sie am 9. Oktober in der Leipziger Nikolaikirche im Rahmen der seit 2001 stattfindenden Veranstaltungsreihe „Herbst ‘89“ als erster Politiker der Ukraine die Rede zur Demokratie halten werden. Fühlen Sie sich geehrt?

Als jemand, der in der Sowjetunion geboren und aufgewachsen ist, weiß ich, was Autoritarismus ist, was gelebte Diktatur und was Demokratie bedeutet, denn ich habe einen großen Teil meines Lebens in Deutschland und den USA verbracht. Dass ich die Rede in meinem zweiten Heimatland halten darf, macht mich sehr stolz.

Haben Sie noch einen Koffer in Deutschland?

Nicht nur einen. Meine Familie wohnt ja in Hamburg. Ich verdanke Deutschland unendlich viel. Ich habe dort viele Freunde. Deutschland wird immer einen besonderen Platz in meinem Herzen einnehmen. Wissen Sie, neben dem Amt des Bürgermeisters habe ich noch eine Doppelfunktion: Ich bin deutscher Botschafter in der Ukraine und ukrainischer Botschafter in Deutschland, um eine Brücke zwischen beiden Ländern zu bauen, sodass sie näher zueinanderfinden. Ich möchte Angela Merkel herzlich danken. Ich weiß, dass sie persönlich sehr viel für die Ukraine getan hat, ob politisch, wirtschaftlich oder moralisch. Ich hoffe, ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin wird die gleiche Richtung wie sie einschlagen.

Jetzt aber werden Sie erst einmal 50 Jahre alt. Wie fühlt sich diese Zahl für Sie an?

Ich halte mich da an mein Idol Max Schmeling, der fast hundert geworden ist, und denke an den Äquator, auf dem ich jetzt die Hälfte meines Lebenswegs zurückgelegt habe. Es ist unfassbar, was ich in dieser Zeit alles erlebt und mitgemacht habe, das reicht locker für drei Leben. Mein Vater war Offizier bei den Luftstreitkräften, deshalb sind wir oft umgezogen und haben in vielen Ländern gelebt. Es folgte die Sportkarriere, die mich andere Teile der Welt, andere Menschen, andere Mentalitäten kennenlernen ließ. Nun bestimmt die Politik mein Leben. Mein Wunsch ist es, dass ich auf der zweiten Hälfte bei der Begehung des Äquators noch effektiver agiere, um noch erfolgreicher zu sein. Soll ich Ihnen etwas sagen?

Bitte?

Ich fühle mich in blendender Verfassung. Ich trainiere jeden Tag. Morgens um sechs stehe ich auf und schwitze bis zu zwei Stunden im Gym. Ich schwimme, fahre Rad, laufe, manchmal boxe ich – nur in einem gesunden Körper kann ein gesunder Geist stecken. Glauben Sie mir, nicht jeder Zwanzigjährige ist so fit wie ich mit 50. Nicht nur deswegen bin ich dem lieben Gott sehr dankbar. Er hat auch viel mehr gute Menschen in mein Leben geschickt. Menschen, die mir in allen Lebenslagen geholfen haben. Ich hoffe, meine Schutzengel begleiten mich und alle meine Lieben auch in den nächsten Lebensjahrzehnten. Was mich etwas schmerzt, ist, dass ich zu wenig Zeit für mein Privatleben habe. Meine großartige Frau, ohne sie wäre ich nichts, und meine drei tollen Kinder kommen einfach viel zu kurz. Aber was soll ich machen? Die Politik ist nun einmal meine Mission und Passion gleichermaßen.

Sind Sie ein glücklicher Mensch?

Ja, das bin ich. Unglücklich macht mich nur, dass der Tag lediglich 24 Stunden hat. Aber ich bin mir sicher, wenn ein Tag 40 Stunden hätte, würde mir das auch nicht reichen.

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